Müder, alter Lehrer

Bernadettes Schaf-Blök

Ey, Alter!

So wird Christian manches Mal in seinem Unterricht begrüßt. Christian ist Berufsschullehrer an den berufsbildenden Schulen in Lingen. Er macht den Job seit über 30 Jahren. Und er ist es leid. „Die Schüler haben einfach keinen Respekt mehr. Angeblich können sie meine ‚Sauklaue‘ nicht lesen. Niemand hört mir zu, und ständig wird diskutiert. Es ist anstrengend, demütigend, und zum Haareraufen!“, so kam neulich Christian zu mir. Mit anderen Worten: Er war total genervt, hatte den Kaffee auf, die Schnauze voll.

Gut, ich kann das verstehen. Ich möchte das auch nicht. Ich möchte nicht mit „Ey, Alte“ begrüßt werden. Ich möchte nicht, dass nebenbei getuschelt wird, wenn ich was erzähle. Und ich möchte ebenfalls nicht dauernd in Diskussionen verwickelt oder kritisiert werden.

Was also tun? Warten auf die Pension? Christian ist 58. Einige Jahre an der Berufsschule bleiben ihm noch. Zu viele Jahre, um einfach nur resigniert auf die Rente zu warten, meine ich. Ich denke, Christian sollte sich der Situation stellen.

Wie meine ich das? Nicht in dem Sinne, dass er die Kritik der Schüler wie einen Hagelschauer über sich ergehen lassen sollte. Nein, das nicht. Aber vielleicht wäre doch ein In-Sich-Gehen nicht verkehrt. Woran könnte es liegen, dass so viel Ungemach über ihn hereinbricht? Mag es sein, dass die Schüler seine Müdigkeit spüren? Dass sie seine Resignation mit ihren feinen Antennen erahnen? Und dass Schüler, eigentlich Menschen im Allgemeinen, solche negativen Schwingungen aufnehmen, ja: ausnutzen, das ist wohl bekannt.

Es könnte auch möglich sein, dass Christian der Schwung, den er von seinen Schülern erwartet, selber nicht ausstrahlt. Möglicherweise spüren sie seine Lustlosigkeit, die sich nach Generationen von Schulklassen in ihm breitgemacht hat, was aber mit den aktuellen Schülern gar nichts zu tun hat. Dabei geht es mir nicht darum, Schuld zuzuweisen, wirklich nicht! Ich kann nachempfinden, dass Christian weniger und weniger Lust am Unterrichten empfindet. Bloß: Es wird immer schlimmer dadurch.

Erinnern wir uns an unsere eigene Schulzeit: Welchen Lehrer haben wir am meisten gemocht? Den alten, strengen, aber irgendwie desillusionierten Studienrat? Oder den humorvollen Pädagogen, der sich durch nichts, auch nicht durch irgendwelche Späße aus der Ruhe hat bringen lassen? Humor ist der Knopf, der verhindert, dass einem der Kragen platzt – so sagte mein alter Chemielehrer immer. Und er musste es wissen! Schließlich hat er selber lange genug unterrichtet.

Vielleicht hilft es Christian, wenn er seine Schüler – und damit letztlich auch sich selbst – mit etwas mehr Milde betrachtet. Dann kommt der Schwung, den er zu Anfang seiner Berufsschulzeit hatte, zurück, und er hat wieder Energie für neue Ideen, neue Unterrichtskonzepte, Lust auf neue Schüler.

Das wünsche ich Christian!

Eure Bernadette

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