Alexandra wird von der Mutterliebe erdrückt

Bernadettes Schaf-Blök

Moin! Moin! Als ich gestern bei dem tollen Wetter auf meiner Weide stand, war ich total genervt. Ständig kreiste so ein dämlicher Hubschrauber über die Weide, machte einen höllischen Lärm und störte uns beim Fressen. Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass selbst wir Schafe drei Kreuzzeichen gemacht haben, als sich der Hubschrauber endlich wieder vom Acker gemacht hat.

So geht es auch Alexandra. Alexandra ist 16 Jahre alt und hat mich in der letzte Woche in meiner Sprechstunde aufgesucht. Sie schwankte zwischen tierischer Genervtheit und Verzweiflung. „Bernadette, du kannst dir nicht vorstellen, was zu Hause bei uns abgeht! Ich halte das nicht mehr lange aus! Wenn nicht bald etwas passiert, haue ich von zu Hause ab!, schrie sie förmlich hinaus. „Meine Mutter ist eine Helikopter-Mutter-Extreme!“ „Nun mal langsam meine Liebe!“, entgegnete ich. An der Art, wie Alexandra mit mir sprach und an ihrem Auftreten konnte ich gleich spüren, dass die junge Dame Pfeffer hat.

„Fang mal bitte von vorne an zu erzählen“, bat ich sie. Und es sprudelte regelrecht aus Alexandra heraus. „Seit ich denken kann, behütet mich meine Mutter wie ihren Augapfel. Als ich klein war, durfte ich nicht alleine mit meinen Freundinnen auf dem Spielplatz, der sich direkt vor unserem Haus befand, spielen. Meine Mutter hockte stets auf der Bank und passte auf, dass uns, vor allem mir, nichts passierte. Dann bekam ich einen riesigen Kletterturm im Garten. Mit Schaukel, Rutsche, Sandkasten und allem Pipapo. Der war schon toll, aber ich wollte doch zu den anderen Kindern auf dem Spielplatz! Von meinem „Aussichtsturm“ konnte ich wenigstens die anderen Kinder beim Spielen beobachten. Später, als ich in die Schule kam, begleitete mich meine Mutter ständig. Ich setzte zumindest durch, wie alle anderen Kinder auch, mit dem Bus zur Schule fahren zu dürfen. Allerdings brachte mich meine Mutter mit dem Fahrrad zur Bushaltestelle, wartete so lange, bis der Bus schließlich kam und holte mich auch mittags wieder von der Bushaltestelle ab. Das ging sogar noch so, als ich zur weiterführenden Schule nach Haren kam. Bernadette, kannst du dir vorstellen, wie peinlich das war? Ich versinke jetzt noch dafür im Erdboden und wurde von den anderen ständig ausgelacht.

Und heute, Bernadette, ist es nichts besser. Ich bin mittlerweile 16 Jahre alt. Meine Mutter kutschiert mich überall hin und holt mich wieder ab. Neue Freundinnen, will sie stets direkt kennenlernen und prüfen, ob das ein guter Umgang für mich ist. Von Jungs und coolen Typen ganz zu schweigen! Bernadette, ich kann nicht mehr! Kannst du mir bitte helfen?“

Puhhh! Ich bin während Alexandras Ausführungen ganz ruhig geworden. Denn auch mich schockiert dieses extreme Verhalten von Alexandras Mutter. „Was sagt denn dein Vater dazu?“, frage ich. „Der, Alexandra winkt ab, der kommt gegen meine Mutter auch nicht an! Von dem kann ich keine Hilfe erwarten.“

Ok. Als erstes erkläre ich Alexandra, dass hinter dem Verhalten ihrer Mutter sehr große, tiefsitzende Ängste stecken. Weiterhin ist sie nicht in der Lage, ihrer Tochter zu vertrauen und kann die Kontrolle nicht ablegen. Wahrscheinlich hat sie ein Trauma, dass nicht bearbeitet und aufgelöst worden ist. Ihre Mutter kann wahrscheinlich nicht aus ihrer Haut.

Somit frage ich Alexandra: „Denkst du, deine Mutter wäre bereit, dich einmal zu mir zu begleiten? Oder sollen wir ihr gemeinsam einen Brief schreiben und sie zu einem gemeinsamen Termin hier bei mir einladen?“

„Ich glaube, die Briefvariante, ist eine gute Idee. Damit kann ich sie vielleicht erreichen“, erwiderte Alexandra hoffungsvoll. Und somit vereinbarten wir einen neuen Termin für diesen Brief, dann verabschiedete sich Alexandra für heute. Ich blieb nachdenklich noch eine Weile in meinem Beratungssessel sitzen.

Ich wünsche mir sehr für Alexandra, dass wir einen Zugang zu ihrer Mutter finden werden. Ansonsten darf Alexandra mit ihren jungen 16 Jahren lernen, sich aus den Klauen ihrer Mutter zu befreien. Und das wird kein einfacher Weg werden, solange Alexandra noch zu Hause bei ihren Eltern lebt. Mir kommt auch noch der Gedanke, ihren Vater trotzdem mit ins Boot zu holen…. Was meint ihr dazu?

Widrigenfalls müssen wir irgendjemanden in den Hubschrauber platzieren. Und dann heißt es nur noch: Abflug! Ok. Jetzt schieße ich übers Ziel hinaus! 🙂

Sonnige Grüße!

Eure Bernadette

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