Ha(a)rte Tatsachen

Moin!

Wir Schafe müssen es uns bieten lassen, einmal im Jahr von unserem Schäfer zum Scheren geschickt zu werden. Tja, so ist das Schafleben. Müssen Menschen sich auch gefallen lassen, dass jemand Fremdes bestimmt, wie die Frisur zu sein hat?

Ich habe neulich Norbert in meiner Beratung gehabt. Norbert hat eine Tochter, Anna-Lena. Sie ist 16 Jahre alt und hat echt tolle Haare, taillenlange goldgelbe Haare. Jetzt ist das Mädel auf die Idee gekommen, sich die Haare abschneiden zu lassen, und zwar richtig kurz, so richtig raspelkurz, quasi wie mit der Schermaschine abgeschoren. Norbert stand kurz vor einem Herzkasper! „Meine Anna-Lena! Sie hat die schönsten Haare in der Straße, an der Schule, ach, was sag ich: im ganzen Ort! Wie kann sie das tun wollen? So schöne Haare! Ich möchte das nicht. Ich werde es ihr verbieten! Diese Haare haben meine Frau und ich ja quasi von klein auf an gehegt und gepflegt“. „Gezüchtet“ hat Norbert sogar gesagt. Gezüchtet!

Ich will es kurz machen: Norbert hat von mir die rote Karte bekommen. Verbieten geht gar nicht. Gar nicht! Seine Tochter ist 16 Jahre alt und damit schon lange in einem Alter, wo sich Menschen sehr individuell kleiden, frisieren und überhaupt verhalten. Und überhaupt: gezüchtet?!? Was ist das für ein Ausdruck? Seine Tochter ist nicht sein Haustier. Sie ist ein Mensch, eine Persönlichkeit. Was denkt sich der Mann?

Nach der roten Karte hatte sich zunächst die Zornesröte in Norberts Gesicht geschlichen. Ich bat ihn allerdings, sich zu beruhigen. „Wieso ist es dir so wichtig, dass deine Tochter lange Haare hat? Warum meinst du, sie nicht mehr so gern haben zu können, wenn sie nun kurze, blaue oder dauergewellte Haare hätte?“ Norbert räusperte sich, setzte zu einer Erklärung an, schluckte… Ich setzte nach: „Wie hättest du es gefunden, wenn dein Vater dir verboten hätte, die alte Lederjacke anzuziehen, die du als Jugendlicher so gern gemocht hast? Und sehe ich da nicht auch ein verkümmertes Ohrloch am linken Ohrläppchen? Wie fand deine Mutter denn den Ohrring, den du damals hattest?“.

Relativ kleinlaut schlich sich Norbert aus meiner Praxis. Versteht mich nicht falsch, ich mache meine Klienten nicht fertig, wirklich nicht. Aber ich musste an dieser Stelle einfach eine Stange für Anna-Lena brechen.

Und ganz ehrlich: Alle Mädels tragen heute lange Haare. Wenn sich da mal eine traut, mit einer kessen Kurzhaarfrisur aufzutreten, finde ich das total cool!

Eure Bernadette

2 Gedanken zu „Ha(a)rte Tatsachen“

  1. Hallo Bente,, wieder so klasse geschrieben. Ja, da muss man sich ab und zu an die eigene Nase fassen: dieselbe Story habe ich hautnah miterlebt, als meine Tochter nach dem Abi ins freiwillige soziale Jahr ging und ich sie dort das erste Mal besuchte. Die wunderschönen langen Locken waren weg, die gingen bis zum unteren Rücken ( und waren MEIN ganzer Stolz gewesen, weil ich mir immer so schöne lange Haare gewünscht hätte) O-Ton: ,, da bist du platt, was? Endlich kein schlimmes Geziepe mehr, keine Kleinmädchenfrisuren echt. Und 80 Euro habe ich auch noch bekommen….. Ich habe geheult, naja, eigene Träume können und sollen Töchter eben auch nicht verwirklichen. Man lernt nie aus. Ganz liebe Grüße und ein schönes Wochenende.

    • Liebe Anna-Maria, danke, dass du diese Erfahrung mit uns teilst. Sicherlich kann so eine drastische Erfahrung ein kleiner Schock sein. Trotzdem darf man sich fragen, wessen Traum das ist mit den langen Haaren eigentlich ist…..😊
      Ich wünsche dir auch ein schönes Wochenende! Bis bald!

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