Bernadettes Schaf-Blök
Guten Morgen! Mann, habe ich letzte Nacht schlecht geschlafen! Das könnt ihr euch nicht vorstellen! Zuerst konnte ich überhaupt nicht einschlafen, selbst bunte Schäfchen zählen hat nichts genützt, und dann bin ich um 3.00 Uhr wieder aufgewacht. Damit war die Nacht dann vorbei. Ich weiß allerdings genau, welches Problem mich nicht schlafen lassen ließ.
Dies weiß Finns Mama allerdings nicht. Sie kam vor ein paar Tagen zu mir und berichtete mir von ähnlichen Schwierigkeiten. Finn (5) könne abends nicht in seinem Bett einschlafen, Finn hat Angst. Er schaukelt sich dabei richtig hoch, bis nichts mehr möglich ist. „Wie findet er dann letztendlich in den Schlaf?“, habe ich gefragt. „Na, er schläft dann zusammen mit mir in meinem Bett ein“, gesteht mir Finns Mama.
Dass Kinder Angst und Schwierigkeiten beim Einschlafen haben, höre ich ja immer wieder. Also frage ich die Mutter: „Wovor haben Sie Angst?“ „Ich?“, fragt die Mutter erstaunt. „Was tut das zur Sache?“ „Ja Sie, erwidere ich weich oder kennen Sie das Gefühl der Angst nicht?“ „Doch, natürlich“, berichtet mir die Mutter leise und fängt an zu erzählen. Sie vertraut mir mit glasigen Augen an, dass sie sich vor einem knappen Jahr von Finns Papa getrennt hat, nun mit Finn alleine wohnt und Angst hat, das Leben nicht alleine meistern zu können. Sie fühle sich oftmals überfordert, stehe unter Druck und es fehle ihr auch oftmals die Schulter zum Anlehnen.
Ich nicke, denn ich kann die Situation gut nachempfinden und frage vorsichtig: „Was tun Sie oder welche Möglichkeiten hätten Sie, um Ihre Ängste und Sorgen in den Griff zu bekommen?“ Jetzt laufen die Tränen bei Finns Mama. „Ich funktioniere!“, ruft sie heraus. „Ich bin froh, dass ich meinen Alltag einigermaßen hinbekomme, das wenige Geld zusammenhalte und lebe von Tag zu Tag.“
Taschentuchreichend erkläre ich der Mutter, dass sie vermutlich ihre Sorgen und Ängste, die sie für sich nicht löst, auf Finn überträgt. Finn spürt unbewusst, dass es seiner Mutter nicht gut geht, dass sie überfordert ist und eine Schulter zum Anlehnen braucht. Finn tut quasi seiner Mutter einen großen Gefallen: Indem er Ängste entwickelt, nicht alleine einschlafen kann und erreicht, bei und mit seiner Mutter im Bett einschlafen zu können, bietet er ihr die Schulter, die sie braucht und vermisst. Sinnvoll wäre es nun, dass wir gemeinsam schauen, wie wir ihr Leben wieder neu ordnen können, ohne Angst, Sorgen und Druck. Nachdem uns das gelungen ist, wäre der nächste Schritt, Finn wieder in seinem Bett und sein Schlafzimmer zu bekommen. Oftmals ist das dann nur noch ein Kinderspiel.
„Jetzt wird mir einiges klar“, erwidert die Mama. „Mir war gar nicht bewusst, wie schnell wir unsere ungelösten Probleme auf die Kinder übertragen!“
Kinder sind unsere Spiegel. Sie zeigen uns sehr zuverlässig, was gerade bei uns los ist. Wir brauchen den Mut und die Offenheit in diese Spiegel zu gucken, zu erkennen und natürlich auch den Antrieb, um ins Handeln zu kommen.
Somit darf sich jeder fragen: „Spieglein, Spieglein an der Wand, wo sitzt der Hase bei mir Sand?“
Mutige und erkenntnisreiche Grüße,
Eure Bernadette