Moin Moin! Habt ihr auch manchmal so Tage, an denen ihr denkt, dass alle anderen besser sind als ihr? Schneller, schöner, erfolgreicher, beliebter? Solche Tage hat wahrscheinlich jeder mal, jedes Schaf und jeder Mensch. Und wenn solche Gedanken hin und wieder im Leben auftauchen, ist es auch ganz in Ordnung. Wenn aber diese Gedanken das ganze Leben prägen, werden sie zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung, auf Englisch heißt das self-fulfilling prophecy. Schon mal gehört? Anders gesagt: Wenn man sich nur lange genug einredet, dass man dumm, faul und nichtsnutzig ist, wird man auch eines Tages so.
Lisa besucht die dritte Klasse. Sie ist still und fleißig. Eigentlich sollte sie keine Probleme haben. Und trotzdem hat ihre Mutter sie zu mir ins Lerncoaching geschickt. Denn obschon Lisa fleißig ist, schreibt sie keine guten Noten. Das ist natürlich schade, aber woran liegt es? Dumm ist sie nicht. Und faul ja nun auch nicht. Lisa hat Prüfungsangst. Sie steigert sich sehr hinein, dass sie nicht sehr klug ist und dass sie die Dinge nicht so schnell begreift. Damit macht sie das Problem größer als es ist. Sie mag keine Einserkandidatin sein, und vielleicht ist sie auch nicht diejenige, die sich immer als Erste meldet, aber ihre Noten wären schon ganz akzeptabel, eben durchschnittlich.
Wenn sie sich nur nicht einreden würde, dass sie es sowieso nicht hinbekommt. Ich habe sie mal beobachtet, wie sie Hausaufgaben macht. Sie fängt an mit einer Aufgabe und sagt sich dann ganz schnell „kapier ich nicht“. Dann fängt sie an, Muster aus Strichen und Punkten und Wellenlinien in ihr Aufgabenheft zu malen. Nach einer halben Stunde hat sie nichts geschafft. „War ja klar, ich kann’s halt nicht“. Wir haben uns dann die Aufgabe gemeinsam angeguckt. „Was genau verstehst du an der Aufgabe nicht?“, hab ich sie gefragt, und da kam heraus, dass sie sehr wohl eine ganze Menge von der Aufgabe verstanden hatte, nur eben eine Kleinigkeit nicht. Das ist ja aber nicht so schlimm. Lisa hat die Aufgabe dann so weit erfüllt, wie sie die Fragestellung verstanden hat. Und dabei ist weitaus mehr herausgekommen als Muster aus Strichen und Punkten und Wellenlinien. Die Lehrerin war nicht unzufrieden mit der Lösung.
Es ist in Ordnung, nicht immer sofort alles zu verstehen. Nicht jeder muss später den Literaturnobelpreis bekommen. Wichtig ist, zu akzeptieren, dass man auch mal Angst hat. Das ist nämlich gar nicht so schlimm. Für Lisa aber stehen die Schulaufgaben wie riesige, gefährliche Monster vor ihr. Und da versteckt sie sich lieber hinter dem Sofa als die Monster erst einmal in Ruhe anzuschauen, ob diese wirklich so unbesiegbar sind. Meistens schrumpfen solche Monster nämlich ganz schön in sich zusammen, wenn man einmal um sie herumgeht und sie genau betrachtet. Manchmal lächeln sie dir sogar zu!
Lisa und ich gehen demnächst gemeinsam zum Monsterschrumpfen. Kommt ihr auch dazu?
Eure Bernadette