Erinnert ihr euch daran, dass ich vor schon vor einigen Monaten die alte Binsenweisheit, dass Jung und Alt unter einem Dach nicht immer gutgeht, hier zum Besten gegeben habe?
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Es gibt allerdings immer wieder Konstellationen, in denen diese Lebensweise unabänderlich ist oder zumindest so erscheint. Auf Bauernhöfen ist das gemeinsame Wohnen mehrerer Generationen im selben Haus üblich. Häufig klappt es, aber es gibt auch Fälle, in denen es hinter der Fassade brodelt.
„Meine Schwiegermutter ist ein Drachen“, jammert Dora bei unserem Treffen. „Sie tyrannisiert mich, wo sie kann. Ich könne nicht kochen, ich schliefe zu lange, ich putze zu selten, und überhaupt hätte ihr Sohn eine bessere Partie verdient. Ständig muss ich mir anhören, welch eine gute Ehefrau sie für ihren verstorbenen Mann, Hermann, gewesen sei, und wie wenig ich ihrem Sohn auf einem Bauernhof von Nutzen sei“, erzählt sie. Puh, das würde mich auch belasten. Wenn die Schwiegermutter so schlecht von einem denkt, ist das schlimm genug, aber wenn man dann auch noch im selben Haus wohnt, kann man dem ja kaum entfliehen. „Wie reagiert dein Mann darauf?“, will ich wissen. „Jens? Der kuscht! Hat ja viel zu viel Angst vor ihr“, schnaubt sie empört. Oha, da ist ja einiges verrutscht im Beziehungsgeflecht.
„Hast du eine Ahnung, wieso sich deine Schwiegermutter so verhält?“, frage ich Dora. „Tja, so genau kann ich das gar nicht sagen. Als Hermann noch lebte, war sie eigentlich ganz umgänglich. Aber seit er gestorben ist, ist es immer schlimmer geworden“, erinnert sich Dora.
Vielleicht fühlt sich die Schwiegermutter überflüssig? Vielleicht hat sie Angst, mit ihrem Ehemann auch ihren Status verloren zu haben? Vielleicht befürchtet sie, dass die neue Generation nun auf dem Hof das Sagen hat und sie nur noch geduldet wird? Das sind alles so Gedanken, die mir durch den Kopf schießen. Allerdings würde das dennoch nicht rechtfertigen, so mit Dora umzuspringen, und außerdem ist Dora meine Klientin und nicht die Schwiegermutter. Aber möglicherweise relativieren diese Gedanken das Verhalten der alten Dame insofern, als dass es nicht in Doras Person begründet ist.
Wichtig ist vor allem, dass die Eheleute zusammenhalten. Das muss ganz klar sein! Der Ehemann darf sich nicht zurückziehen, wenn seine Mutter versucht, sich in den Haushalt der jungen Generation einzumischen oder Streit zwischen Mann und Frau zu säen. „Habt ihr darüber schon gesprochen?“, möchte ich von Dora wissen. „Naja, wir haben uns deswegen schon gefetzt“, meint sie. „Bring ihn ruhig mal mit zu mir. Lasst uns mal gemeinsam darüber reden. Wir finden eine Strategie, wie ihr mit dem vermeintlichen Drachen umgehen könnt. Vielleicht ist es ja auch gar kein Drachen, sondern nur eine Frau, die Angst um ihren Lebensabend hat“, mache ich Mut. An Doras mangelnden Kochkünsten wird es sicherlich jedenfalls nicht liegen.
Dennoch muss ich gestehen, dass ich froh bin, dass Gustav von einer anderen Weide zu unserer Herde gestoßen ist und meine Schwiegermutter nur sehr selten einmal bei uns vorbeischaut.
Bis bald, eure Bernadette!